Mal eine Schicht in der Chirurgie am 4.11.2010 und 5.11.2010 Ich bin ja jetzt schon seit etwa zwei Wochen formell in der Chirurgie. Unit 4. Jeden Donnerstag hat die Unit dann ihren Intake, was so viel bedeutet, wie Schicht schieben für 24h und mehr. Ich habe schon zwei Chirurgie-Schichten hinter mir und muss sagen, dass sie vom Adrenalin her nicht so spannend sind, wie in der Traumatologie.
Dennoch gibt es auch regelmäßig hier Notfälle. Aufgenommen sollen natürlich auch nur die Notfälle. Mit einfachen (Grad I, II) Hämorrhoiden wird man nicht in das Krankenhaus aufgenommen, sondern als Outpatient-Patient dann zum passenden Tag vertröstet. So auch mit einigen anderen nicht akuten Fällen. Aber wenn dann, wie in dieser Nacht, beispielsweise zwei Patienten mit Bluterbrechen und Melena nach rektaler Untersuchung aufkreuzen, läuten dann auch mal die Alarmglocken bei den Chirurgen. Oder eine Appendizitis, die sich als akutes Abdomen zeigt (brettharter Bauch, Perforationsgefahr, Infektionsgefahr etc). Ich habe nur diesmal etwas von einer Appendizitis mitbekommen. Nebenan in der Traumatologie, war es ebenfalls nicht sehr spannend, sodass ich mich getrost auf die ganzen Patienten in der Chirurgie konzentrieren konnte, ohne unter akutem Futterneid zu stehen.
Um Mitternacht wurden wir von Schwestern aus der chirurgischen Station angerufen. Einer der aufgenommenen Patienten muss reaniminiert werden auf Station. Der Intern und ich haben nur gehofft, dass es keiner „unserer“ Patienten war. Und das war er auch nicht. Wir sind zur Station gesprintet, ein etwa 3-Minuten Sprint. Das Bara ist ein recht großes Krankenhaus. Angekommen hatte ich gleich das Gefühl, dass die versammelten Schwestern uns ein „Gefallen“ tun, dass sie den Patienten reaniminieren. Die Herzmassage war katastrophal, ich weiss gar nicht, ob sie jemals einen erste Hilfe Kurs gemacht haben. Wir haben uns dann sofort auf den Patienten gestürzt und mussten feststellen, dass nichts funktionierte. Die Atemmaske hat geleckt und den Schwestern hat es nicht interessiert. Das Suction (Sauger) funktionierte nicht und so konnte man in jeder Beatmung schön das Aspirat rascheln hören in den Lungen des Patienten. Ein Laryngoskop stand nicht zu Verfügung, ebenso hat es gedauert, bis das Adrenalin seinen Weg zum Patienten gefunden hat. Es war schlimm, eine Reanimation auf dieser Station so gut wie unmöglich. Nirgends ein Brett zu fassen, dass man unter den Patienten schieben kann, damit man auch ordentlich die Herzdruckmassage ausführen kann. Nach 10 Minuten und mehrer Dosen Adrenalin, haben wir es dann beim Beisein eines Oberarztes aufgegeben. Der Patient war tot. So wie ich es verstand, wegen oberer Gastrointestinaler Blutungen verstorben. Eigentlich hätte er, bevor er überhaupt auf Station kommt, eine Gastroskopie bekommen müssen. Aber ich habe es selber mal gesehen, der Zustand der Gastroskope, falls sie überhaupt mal funktionieren, ist katastrophal.
Ein anderer Patient war mal was anderes. Der Kerl hat zirka 6 Stunden im SPIT verbracht. Ein anderer Intern hat ihn gesehen und ist dann schlafen gegangen. Als ich dann mal in seine Akte nachgesehen habe, da ich wissen wollte, warum er immernoch hier rumhockt, konnte ich etwas von „STI“ lesen. Ja, der Patient war mit Warzen übersäht. Er hat mir dann beschrieben, dass er schreckliche Schmerzen hat. Etwas unwillig, hab ich ihn mir dann nochmal genauer angeschaut und musste feststellen, dass nicht die STI das Problem gerade ist, sondern die Paraphimose. Durch die Warzen vielleicht, aber vielleicht unabhängig davon, hat die Vorhaut seinen Penis so stark stranguliert, dass die Eichel hochrot und geschwollen sich dargeboten hat. Auch ein Notfall. Nur war ich etwas ratlos, was ich da machen soll. „Mach einen Penisblock und dann pressen!“ hat mir eine Ärztin gesagt. Und so kam ich dazu, dass ich zum ersten mal einen Penisblock machen sollte. Und er hat sogar funktioniert, zumindest hat der Patient dann für eine Weile nichts mehr empfunden. Und ich habe gepresst und gepresst, aber es hat leider nicht geholfen. Ich konnte die Vorhaut nicht mehr entlasten und so habe ich den faulen und arbeitsscheuen Urologen angerufen, der auf der anderen Seite des Krankenhaus wahrscheinlich gerade Däumchen dreht oder schläft. Er hat sich dann dazu niedergelassen, mir zu sagen, dass ich den Patienten zu ihn schicken kann auf die urologische Station. Und so ging ich mit den Patienten auf die Station. Der Patient hat mir derweil die ganze Zeit vollgelallt, dass er nun ein anderer Mensch ist und er komplizierte Zeiten hatte und deshalb nicht seine HIV-Medikamente eingenommen hat. Aber jetzt möchte er es tun blablabla. Ich bin eigentlich nur mitgegangen, um den Urologen über die Schulter zu schauen. Und er hat im Grunde nichts kompliziertes gemacht. Er hat die Vorhaut längs angeschnitten und somit alles entlasten können. Da dies stark blutet, hat er diese Vorhaut nochmal zugenäht. Der Patient konnte wieder lächeln und die Entlastung war ihm wirklich ins Gesicht geschrieben. Natürlich wurde ihm dann empfohlen, gleich einen Termin zur Beschneidung zu machen. Er will den Termin natürlich wahrnehmen.. angeblich. Ich glaube afrikanischen Patienten mittlerweile gar nichts mehr. Er wird sicher eine Ausrede finden, warum er nicht zur Bescheineidung geht, genauso wie er eine Ausrede findet, warum er nicht seine HIV-Medikamente nimmt. Es gibt immer Ausreden. So hat er fest vor dem Urologen behauptet, dass er sein HIV über seine Arbeit beim Melken von Kühen (!) bekommen hat und niemals durch Beischlaf oder Drogenkonsum. Der schlafende Intern hat sich mehrmals bedankt, weil wäre dem Patienten die Eichel abgefallen, hätte er mächtig Probleme bekommen mit seiner Fehleinschätzung.
Die Schwestern hatten auch Ausreden, warum nichts funktionierte auf Station während der Reanimation. Afrika besteht aus Ausreden. Es ist das Wetter schuld oder der ehemalige Kolonialherr. Oder die weiße Bevölkerung. Es gibt immer jemanden. Eine Stunde zuvor nahm ich eine Patientin auf, die schwarz war und fliessend Afrikaans gesprochen hat. Ihre Hausherren haben sie hierhergebracht, ich glaube aus Pretoria. Die Frau war 47 Jahre alt und ein Radiologie hat eine Tumormasse irgendwo hinter dem Bauchnabel festgestellt. Außerdem war sie anämisch und vollkommen erschöpft, weshalb sie die Klinik aufgesucht haben. Ich konnte der Frau eigentlich sofort die Kombination HIV und Tuberkulose ansehen. Aber dies hat sie beides verneint, wobei ich mir sicher bin, dass sie ganz genau weiss, dass sie es hat. Auch die Hausherrin wusste von nichts. Dennoch habe ich ihren HIV-Status abgenommen. In den Blutuntersuchungen ergab sich eine Panzytopenie. Und der HIV-Test war positiv. Keine Überraschung. Kein chirurgischer Fall eigentlich, aber dennoch haben wir sie auf Station zur Blutransfusion aufgenommen. Die Kollegen aus der Inneren Medizin wollten sie erstmal nicht aufnehmen, da sie eine Woche zuvor schon Bluttransfusionen aus einem privaten Krankenhaus erhalten hat. Verstehe den Grund nicht wirklich. Und so bestellte ich 3 Units Blutpakete für die Frau. Sicher wird es auch hier eine Ausrede geben. Aber spätestens die nächsten tage, landet diese Frau dann auf Ward 20, die Innere.
Die Urologen und HNO-Ärzte, die eigentlich in Bereitschaft waren, hatten auch ihre Ausreden, warum sie nicht ihre Patienten sehen wollen, die sich im Spit so langsam versammelt haben. Ich habe mich irgendwann beim Head of Unit 4 beschwert, da es nicht angehen kann, dass Patienten 12 Stunden auf ihren Arzt warten. Irgendwann kam die HNO-Ärztin, sauer und geladen, da wir Patienten auf ihre Station aufgenommen haben, ohne sie zu fragen. Wir haben uns halt entschieden, die Patienten, die uns akut behandlungsbedürftig erscheinen, auf Station zu schicken. Wenn der Arzt nicht zum Patienten will, kommt halt Patient zum Arzt.
Irgendwann in der Nacht, kam eine Mutter mit ihrer 14 Monate alten Tochter zu mir. Ihre Tochter hat einen Fremdkörper inhaliert, aber er stecke noch in der Nase und Mutter hat versucht ihn selber rauszunehmen, aber der Fremdkörper ging immer tiefer rein. Ich dachte mir, dass das Kind nun 6-12 Stunden auf einen HNO Arzt warten müsste oder ich es selber in die Hand nehme. Mit meiner kleinen Taschenlampe und einem Moskito in der Hand (ne Art Schere/Klemme) habe ich das dann auch geschafft, dem tapferen Mädchen den Schaumstoff aus der Nase zu schnappen. Eigentlich habe ich erwartet, dass das Kind weinen wird, so wie es immer ist, aber sie war ganz tapfer. Und ich habe dem Kind und der Mutter wohl 6 Stunden Wartezeit erspart.
Insgesamt war dieser Chirurgie-Call mal nicht zu langweilig. Man hatte immer was zutun und ich habe aufgehört zu zählen, wie viele Patienten und Neuaufnahmen ich gesehen habe. Gegessen habe ich nicht zu viel. Kann mich gerade nur an 1l Cola erinnern und paar Keksen erinnern. Und zwei Spike Energydrinks. Die haben grässlich geschmeckt, da kein Zucker drin war. Nie wieder!
Nachtrag: Bemerkenswert noch am Rande: Ich war diesen Freitagabend wieder zum Kabbalat Shabbat eingeladen. Ich sollte sie erstmal in der großen Yeshiva College Synagoge treffen. Dort war das Durchschnittsalter schon bemerkenswert höher. Was ich sehr nett aber fand ist, dass zum Ende hin der Gabbai der Synagoge zu mir gekommen ist, mich gefragt hat von wo ich komme und dann gefragt hat, ob ich schon einen Platz zum Essen habe. Es überrascht mich immer wieder. Eine wirklich sehr nette jüdische Gemeinde in Johannesburg. Ich bin mir nicht ganz sicher, ob es auch so im Großteil Synagogen in Deutschland ist.